Zum World Radio Day. Von Stephanos Berger.

Morgens um dreiviertel sechs startet mein Radiowecker mit der "Ö1 Frühmusik". Ich habe als Kind klassikliebender Eltern diesen Sender sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen und ihn über die Jahre hinweg nur episodenhaft durch Ö3 (als der Dschi-Dschei-Wischer sein Jahr hatte), Radio Wien (als Dr. Ostbahn sonntags ordinierte und Ulla Weigerstorfer die Sportergebnisse durchsagte) und Blue Danube Radio (als mich das Soft Sound Café für lange Nächte mit Kampagnenarbeit wachhielt) ersetzt. Heute, wo alles rundherum zur Musikfläche verkommen ist, spielt der meiner Meinung nach beste Radiosender im deutschsprachigen Raum durch meinen Tag hindurch. Für mich ist jeder Tag Weltradiotag.

World Radio Day. Die schlauen Algorithmen der sozialen Medien sind völlig planlos und wissen mit meinen bildreichen und schön geschriebenen Postings zu diesem Anlass offenbar nichts anzufangen, so lau läuft die Performance. Dabei ist das mein Herzensthema. Klar, diese trickreichen Programme hinter LinkedIn, Facebook, Instagram & Co wurden ja auch von Menschen geschrieben, die mit der Kultur des bewussten Radiohörens etwa so viel am Hut haben wie ich mit dem Lebenswerk von Taylor Swift. Uns kommt also gegenseitig das jeweilige nicht in den Sinn.

Als strategischer Kreativberater in der Werbebranche könnte ich mich leichtfertig der oberflächlichen Meinung, Radio erreiche doch niemanden mehr und wenn, dann nur alte Säcke, anschließen. Das ist aber, wie die wahren Zahlen zeigen, schlicht falsch. Sogar lineares Fernsehen hat in den USA bei den unter Zwanzigjährigen noch immer gut 19% Tagesanteil.

Radio ist überall, ohne großen Aufwand empfangbar (zwei Monozellen, ein Billigradio um zehn Euro aus dem Mediamarkt), Radio kommt zu allen. Radio, diese ein Jahrhundert alte Erfindung, ist sozusagen das Fahrrad der Medienwelt. Sogar wer kein Radiogerät mehr besitzt, kann es hören. Halt mit einer etwa einminütigen Verzögerung, weil die Apps das nicht schneller hinbekommen, aber das stört im Grunde nur zu Silvester und bei Nationalratswahlen, wenn man aus der Nachbarswohnung schon Jubel oder Wutschreie hört, das Smartphone aber im Stream eben noch den letzten Titel der vorangegangen Sendung dudelt.

Radio ist demokratisch. Denn heute kann es dank Podcast und YouTube Audio von allen produziert und ausgestrahlt werden. Live ist nicht mehr das Zauberwort, denn man hört ja auch den ganzen Tag hindurch vorausgezeichnete Sendungen, Musikbeiträge oder Nachrichten. Je nach dem, wer da sendet. Darin steckt natürlich auch die Gefahr, dass jeder x-beliebige Blödsinn über den digitalen Äther geht. Die Meinungen von Gerald Gross oder Elon Musk sind allerdings in sich bereits so irrelevant, dass deren Podcasts meines Erachtens nach nicht den Weltfrieden bedrohen oder eine haltlose Welle der Verblödung nach sich ziehen. Letztere vollzieht sich von selber.

Echtes Radio, also das, um welches in Europa der technische Fetisch mit Sendelizenzen, Sendeanstalten und Vollprogrammen hochgehalten wird – wofür ich sehr dankbar bin, weil damit sogar der seichteste Privatsender nicht völlig in die Inhaltsleere abdriftet – ist in anderen Teilen der Erde auch ganz anders aufgestellt. Ich denke da etwa an die "Bojensender" in Amerika, die schon in den 80ern mit stapelweise automatisierten Eumig-Kassettendecks aus schwankenden Gehäusen in küstennahen Gewässern unbemannt gesendet haben – und dafür auch keine Radiolizenz brauchten. Oder die Kurzwellensender, die nach wie vor über Erdteile und Ozeane Menschen mit Nachrichten, Musik und Heimatgefühlen versorgen. Ein amerikanisches Autoradio würde uns auf der A2 von Wien nach Graz wahnsinnig machen, weil es keinen Sender halten könnte. Und umgekehrt ein europäisches Modell die Amis, weil es in dem dichten Frequenzgewusel keinen Sender fände. Oder die Satellitensender gar nicht reinbekäme. Radio ist also überall, aber nicht überall dasselbe.

Radio ist eine einfache Sache. Einschalten. Kommen lassen, was sich andere für uns ausgedacht haben. So zufällig es sich oft anhören mag, so ernsthaft ist die Arbeit dahinter. Danken wir es den Radiomacher:innen mit unserer Aufmerksamkeit. Denn die Radio Days sind noch lange nicht vorüber – wenn überhaupt jemals. Man kann sich jeden Tag auf's neue in Radio verlieben. Eine Liebe, die lebenslang währt.