Von: Stephanos Berger
Fotos: CIDCOM

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder und betrachtet das Thema aus der eigenen Position als offen schwul lebender Unternehmer und Berater.

Es ist wieder Pride Month, überall in der Stadt winken Regenbogenfahnen von Straßenbahnen und Bussen, aber auch von Büros und öffentlichen Gebäuden. Sieht doch ganz so aus, als wäre breite LGBTIQ-Akzeptanz endlich angekommen. Bloß: Täuschen wir uns nicht.

48% der befragten männlichen Deutschen zwischen 18 und 35 Jahren stört es nach eigener Aussage, wenn schwule Männer in der Öffentlichkeit kein Geheimnis aus ihrer Veranlagung machen. Diese ernüchternde Zahl kam im Frühjahr 2023 bei einer Onlineumfrage des Kinderhilfswerks Plan International Deutschland zu Tage. Das Sample war mit 1.000 Teilnehmern absolut repräsentativ und die Zusammensetzung laut Homepage breit gestreut. Für mich ein schockierendes Ergebnis. Das hat nicht abgenommen, das ist ordentlich gewachsen!

"Ein Drittel der befragten Männer legitimierte Gewalt gegen Frauen oder fand, dass Handgreiflichkeiten sogar ein Mittel der Wahl sein können. 33 Prozent finden es laut Umfrage "akzeptabel", wenn einem Mann "bei einem Streit mit der Partnerin gelegentlich die Hand ausrutscht". […] 49 Prozent finden es wichtig, dass sie in der Ehe oder der Beziehung bei Entscheidungen "das letzte Wort" haben.", so DerStandard über die Umfrage. Damit ist die große Ablehnung von schwulen Männern – denn nichts anderes bedeutet das Ergebnis – nur ein weiterer Baustein des neuen "alten" Selbstbildes, das die jungen Herren unbemerkt über die Jahre wieder ausgepackt haben. Wer's nicht glaubt, kann ja gern mal bei TikTok oder Snapchat vorbeischauen. Jaja, sicher hüpfen da auch ein paar User durchs Bild, die anders(rum) drauf sind und das auch bewusst zeigen. Aber der Tenor? Schwul ist so wie Fahrrad statt BMW. Und für die besonders "harten" Männer so lustig wie noch nie, derbe abwertende Scherze drüber zu machen.

TikTok – dort geht's ab gegen alles, was anders als "die Norm" ist

Und es wundert mich auch nicht. Konkret: Wenn man bloß eine Viertelstunde durch TikTok scrollt, hat man genau diese harte, überkommene Männlichkeit laufend vor Augen. Die dort präsentierte "Bro"- oder "Bruder"-Kultur" sowie die inflationäre Verwendung von "schwul" für etwas Minderes dieser meist noch pubertierenden Jungs halte ich persönlich für besonders gefährlich. Sie ist längst nicht mehr auf gewisse Ethnien oder soziale Schichten beschänkt, sie wird in den Videoclips der App vom Lehrling bis zum Gymnasiasten regelrecht zelebriert. Es steckt beispielsweise im Wort "Bruder" bereits der Freifahrtschein für eigene Verhaltensregeln. Jedenfalls andere, als es der gesellschaftliche Konsens vorgibt. Es ist die Sprache, die das Handeln und letztlich das Denken formt. Kleine Übertretungen anständigen Verhaltens sichern nämlich Teilhabe, Dabeisein, Mitschwimmen.

Da zielen bösartige "Pranks" auf TikTok auf die Verächtlichmachung von Frauen, Schwulen oder auch Ausländern ab (die selbstironischen gibt es auch, aber das sind die Ausnahmen). Da wird übertriebene Ablehnung gegenüber allem inszeniert, was als "schwul" bezeichnet wird (auch wenn damit nicht immer die sexuelle Ausrichtung gemeint ist – und da machen auch junge Damen gern mal mit). Mit fest verschlossenen Augen ignoriert die Gesellschaft, wie soziale Medien unsere hart erstrittenen Rechte unterminieren. Nämlich die der Frauen und auch die von LGBTIQ-Menschen. Das wächst am selben Holz, weil sich ja beide stets gegen antiquierte patriarchalische Sichtweisen wehren mussten. Wer erinnert sich noch an die Durchsetzung von "oben ohne" in österreichischen Freibädern? Und wieviel davon übrig blieb? Wenig. Dabei ist das eine sehr gute Analogie zur Gleichbehandlung von Menschen anderer sexueller Veranlagung, Herkunft oder was auch immer als nicht "normal" und "männlich" definiert wird. Ich verbeiße mich deshalb so an diesen Begriffen, weil der Druck auf Frauen und Randgruppen immer mit dem Anstieg virilen Selbstverständnisses einher geht. Immer. Und da ist es auch komischerweise egal, ob es "blede Buam" aus heimischer Aufzucht oder welche mit dem vielzitierten "Migrationshintergrund" sind. Das Gift gegen schwule Männer ist jedenfalls deutlich weiter verbreitet, als man meint. Fast so, als wäre das G in LGBTIQ besonders verachtenswert.

Wer schimpft, der kauft – oder gibt es plötzlich weniger Schwule?

Auch auf TikTok: Das Kokettieren mit latenter Homosexualität – der eigenen oder einer bloß gespielten – ist dort auch häufig zu sehen. Wem die Videos gezeigt werden, in denen sich extrem männlich gestylte junge Männer dank KI-Videofiltern in Frauen verwandeln, bleibt zwar das Geheimnis des App-Algorithmus, aber es gibt auffallend viele davon. Klar, denn allein eine schlecht erzogene Gesellschaft, die wieder gerade in die Ablehnung des "Andersartigen" zurückpendelt, schafft Fakten nicht ab.

Fakt ist zum Beispiel, dass nach wie vor jeder siebte Mann auf diesem Planeten homosexuell veranlagt ist, ob er es auslebt oder nicht. Daher verwundert mich das eingangs zitierte Umfrageergebnis aus Deutschland zugleich auch. Denn diese Ablehnung von erkennbar "schwulem Verhalten" in der Öffentlichkeit – was immer das sein mag – wird auch von einer Menge junger Männer geäußert, die falktisch und statistisch gesehen selber schwul sind. Das bedeutet, dass die Angst zurück ist, außerhalb des engsten Freundeskreises zu sein, wie und wer man ist. Ist ja auch nicht so lange her, als es noch in den meisten Ländern Europas unter Strafe stand, schwules Verhalten auszuleben. Moment mal: Das ist ja in manchen Staaten wieder zurück! Und wir werden hie und da sogar mit Steinen beworfen, wenn die Pride-Paraden durch die Gassen ziehen.

Scheint also so, als wären wir all die Jahre umsonst bunt und lustig durch die Innenstädte marschiert. Auch als offen schwul lebende Männer mit dem Logo ihres superdivers aufgestellten Arbeitgebers am T-Shirt. Denn die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Man kann es auch auf die stark zunehmende Ausländerfeindlichkeit oder Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen (und auch Männern) umlegen. Ich ziehe übrigens auch alle zur Verantwortung, die andere wortlos gewähren lassen, wenn sie "schwul" abwertend vor ihren Ohren verwenden. Auch hinter vorgehaltener Hand. Das geht einfach nicht und ist nicht cool oder lustig, sondern einfach nur ein Zeugnis für schlechte Erziehung.

Dekoration ist noch lange keine Haltung

Heute, am 17. Juni, ziehen wir also wieder um die Wiener Ringstraße. Belohnen uns mit einer schönen Party dafür, dass wieder ein Jahr nix schlimmes passiert ist und wieder ein Konzern dazugekommen ist, der sich den Regenbogen unter die Fahnen schummelt und offen für alle(s) ist. Wirklich? Also aus meiner Sicht der Dinge ist "openly gay" in Unternehmen nach wie vor ein Spezialfach für gefestigte Charaktere mit Durchsetzungsvermögen.

Ich bin lange genug als Kreativer (und mittlerweile auch Unternehmer) in der Werbebranche, um das zu wissen. Unsere Branche weist nämlich auch keinen Deut mehr Akzeptanz für LGBTIQ (und Schwule im Speziellen) aus, sondern zieht nachgerade besonders machoide Typen an. Unverändert gibt es immer noch ein Hüsteln, wenn die Regenbogenflagge am Auto entdeckt wird, noch immer kann man in den Gesichtern der Menschen ein kurzes Erstaunen aufblitzen sehen, wenn man die eigene Agentur in Recruitinggesprächen, bei Pitches oder auf Netzwerkevents als "gay operated" beschreibt. Klar, ich habe sie ja mit meinem Lebenspartner (und seit 2019 auch Ehemann) vor 20 Jahren gegründet und weigere mich, daraus ein Geheimnis zu machen. Ich halte es für wichtig, meine Haltung zu zeigen. Wie die Umfragen zeigen: Aus gutem Grund.

Mit der Wahrheit kurz und knapp auf den Tisch zu kommen ist übrigens die beste Möglichkeit, für Respekt und Akzeptanz zu sorgen. Diversität in Unternehmen sollte es ja den Mitarbeiter:innen leicht machen, genau das auch zu tun. Mag sein, dass die neuen Policies helfen. Ich bin aber überzeugt, dass ganz oben nach wie vor derselbe Mief wie beim jüngst in Deutschland befragten, männlichen Nachwuchs herrscht. An der Spitze ist es nach wie vor kaum möglich, als offen schwul lebender Mann volle Akzeptanz ohne Gemauschel oder Vorbehalte zu erhalten.

Kneifen ist Managerstandard

Mir fällt kein anderer Grund ein, weswegen beispielsweise Politiker (mit seltensten Ausnahmen) daraus ein Geheimnis machen, dass sie auf Männer stehen. Oder weshalb in Konzernen trotz Diversitätsbekenntnissen schwule Mitarbeiter den "gläsernen Pflafond" nach wie vor fürchten oder sogar spüren. Oder weshalb mächtige Unternehmer wie Peter Thiel auch mal ein Medium in Grund und Boden klagen, wenn über diese angeblich heute ganz normale Facette ihrer Person berichtet wurde. Allein die Versuche, Manager:innenclubs für unsere LGBTIQ-Zielgruppe zu installieren, haben zwar Diversity Policies in Unternehmen gefördert, aber die öffentliche Wahrnehmung meiner Ansicht nach nicht verbessert. Hier wird eine ganz wesentliche Einflussmöglichkeit nicht genutzt, womit die Kritik am "Pinkwashing" dann wohl oft nicht so falsch sein wird. Denn zu echter Diversität gehört auch das Foto des Firmenvorstands mit seinem Mann in den Klatschspalten der Zeitungen – und vielleicht auch der Auftritt in den ORF Seitenblicken. So etwas spüren die Menschen wirklich, daran lernen sie, ihre Einstellungen zu ändern, da wirken Vorbilder und das sollte keine Mutprobe mehr sein. Die CSR-Berichte mit ihren schönen Worten sehen ja oft nicht mal die eigenen Mitarbeiter:innen. Das Unternehmensimage hat nichts von gespielter Diversität, wenn der Eigentümer nicht möchte, dass der Generaldirektor auch vielleicht mal eine Tunte ist, der sich trotz aller Managementkonventionen nicht verstellt. Man sollte sich als Unternehmen daher ernsthaft die Frage stellen: Können wir wirklich auch anders(rum)?

Mir scheint, wir waren noch nie so wenig weit gekommen wie heute.

Stephanos Berger ist Geschäftsführer, Mitgründer und Miteigentümer von CIDCOM, Mitveranstalter der Rosa Wiener Wiesn, war im ersten Team der Wiener Regenbogen Parade und des Regenbogenballs lange Jahre aktiv, und macht bis heute keine Geheimnis daraus, dass er Männer liebt. Insbesondere seit 25 Jahren seinen Partner Benno Döller. Gemeinsam bringen sie auch immer wieder Künstler:innen mit offen queerer Haltung auf österreichische Bühnen.